LADY CHARLOTTE CAMPBELL
Das Dorf wurde auf dem Grund eines alten Weilers gebaut, von dem eine Fähre durch die Meeresbucht Loch Indaal zu der Seite von Bowmore fuhr. Das Land gehörte ursprünglich zur Glassans (oder Classans) Farm. Der gälische Name „Port Sgioba“ („Skiba“ bedeutet „Teams“) könnte ein Verweis auf das Pflügen des Landes oder auch segelnde Schiffe sein. Der englische Name, Port Charlotte, ist eine Hommage an eine Berühmtheit am Hof von König Georg IV., eine sehr gebildete Dame, die die Mutter des Gutsherren von Islay war.
Lady Charlotte Campbell, nach der das Dorf benannt ist, war eine der Töchter des Herzogs von Argyll, die im Inverary Castle, nicht weit entfernt auf dem Festland, lebten. Sie hatte neun Kinder mit dem Oberst John Campbell von Islay, einem Soldaten, und später auch Politiker. Er starb jung, im Jahr 1809. Sie aber lebte noch weitere 52 Jahre und veröffentlichte zwischen 13 und 25 Büchern, die nicht alle unter ihrem Namen veröffentlicht wurden.
Nach ihrer Verwitwung wurde sie eine Hofdame der Königin Caroline von Brunswick. Zu dieser Zeit war die Krone Szenerie von Auseinandersetzungen und Skandalen, die auf großes öffentliches Interesse stießen. Der Schriftsteller und Kritiker William Hazlitt schrieb in den 1820er Jahren, dass „die Angelegenheiten der Königin Wurzeln in den Herzen der gesamten Nation schlugen und jedes Haus oder Landhaus im Königreich erfassten.“ Lady Charlotte selbst sorgte für Furore, als sie den Hauslehrer ihrer Kinder heiratete, den jungen Pfarrer Bury. Mit diesem bekam sie zwei weitere Kinder. Und auch ihn überlebte sie. Lady Charlotte war mit den Schriftstellern Walter Scott und William Blake bekannt. Im Jahr 1828, als die Fundamente für Port Charlotte gelegt wurden, veröffentlichte Lady Charlotte ihren vierten populären Roman, „Flirtation“. Der berühmte Besuch von König George IV., bei dem er die schottische Whiskyindustrie segnete und ratifizierte, hatte 1822 stattgefunden.
WALTER FREDERICK CAMPBELL
Woher kam der Impuls, ein „verbessernder Grundherr“ zu werden? 1828 war es der Sohn von Lady Charlotte, Walter Frederick, der die Planung und den Bau von Port Charlotte anstieß (er gab Land her und händigte Bauskizzen aus, aber die Häuser wurden von ihren neuen Besitzern gebaut und bezahlt). Er hatte bereits den Bau von Port Ellen beaufsichtigt, der 1821 begann, sowie die Umgestaltung von Portnahaven zur Siedlung für Fischerei und Bauernhöfe. Man bedenke, dass in den 1820er Jahre die „Highland Clearances“ gerade im Gange waren. Walter Frederick hatte Islay von seinem Großvater geerbt. Auch dieser war zum Bauen ermächtigt und hatte Bowmore entwickelt, um einer Community im Jahr 1768 ein neues Zuhause zu schaffen.
Walter Frederick erhielt mit 24 Jahren die Auszeichnung „Fellow of the Royal Society of Edinburgh“. Im gleichen Jahr wurde er Abgeordneter im Unterhaus. Edinburgh war bereits seit einigen Generationen bedeutend für die Schottische Aufklärung. Vor der Französischen Revolution in den 1760er Jahren war in Edinburgh mit der Arbeit an der britischen Enzyklopädie „Encyclopaedia Britannica“ begonnen worden. Im selben Jahrzehnt hatte der Bau des New Town (in Edinburgh) mit seinen eindringlichen Proportionen und seiner vornehmen Straßenplanung begonnen. Voltaire schrieb dazu, „heute gibt Schottland den Ton an, was den guten Geschmack in der Kunst angeht, von seiner epischen Poesie bis hin zur Gärtnerei.“ Adam Smith, der Autor des Werkes „Der Wohlstand der Nationen“ (1776 veröffentlicht), in welchem die grundlegenden Prinzipien des Kapitalismus und der Meritokratie und deren Vorteile gegenüber der Aristokratie dargestellt wurden, war auch in Edinburgh und seiner Universität aktiv. Im den späten 1820ern begann in Schottland die Romantik, Hector Berlioz komponierte Musik basierend auf dem Roman „Waverly“ von Sir Walter Scott und Mendelssohn reiste auf die Hebriden.
DER GRÖSSERE KONTEXT
Die 1820er Jahre waren von großer industrieller und politischer Aktivität geprägt. Während Islay im Wesentlichen noch feudal war (manche würden entgegnen, dass Teile der Insel es noch heute sind!), wurde in Glasgow 1818 die erste Schiffswerft eröffnet. Die Eisenindustrie in Schottland wurde 1828 von James Neilsons Erfindung eines Röhrenwinderhitzers revolutioniert. Die ersten Lokomotiven fuhren von 1826 an in Glasgow. Die Baumwollindustrie war im Westen Schottlands ausgeprägt. Das Baumwollfabrikationszentrum New Lanark Mills war ein interessantes Vorzeigeprojekt: Es war eine geplante Siedlung, die um ein erfolgreiches Unternehmen gebaut wurde. Die Häuser für die Arbeiter wurden im Entwurf schon mitgedacht.
Ob das eine Inspiration für Walter Frederick gewesen sein könnte? Bei New Lanark wurde der damalige Besitzer, Owen, zum frühsozialistischen Anführer einer Arbeiterbewegung und er eröffnete 1817 in Großbritannien die erste Vorschule. Die Industrialisierung führte zu sozialem Wandel. Unter den gebildeten, künstlerischen Webern in Paisley entstanden Unruhen und 1820 der Aufstand „Radikaler Krieg“.